Ganz was Neues: NSG

Marktende – und noch so viele Mitarbeiter übrig!

Das NSG-Innovationsteam
Das NSG Innovationsteam – v.l.n.r.: Stefan Bührer, Produktionsleiter; Jörg Frey, Werkstattleiter; Michael Eckstein, Qualitätsmanager und Verantwortlicher für Produktentwicklungen bei NSG GmbH, mit den neuen NSG HeavyPacks an der Hantelstange – Photo: NSG GmbH

NSG GmbHDie EU hat das Aus für den Verbrennungsmotor beschlossen. Die großen OEMs können Fahrzeuge mit alternativen Antriebskonzepten auf den Markt bringen. Viele der kleinen und mittelgroßen Zulieferer der Automobilindustrie können das nicht. Sie sind erfolgreich ihn ihrer Nische und wissen nicht, wie sie da rauskommen können, wie sie diversifizieren sollen, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern.

Das galt auch für die NSG Nakagawa+Sauer & Co. GmbH in Helmstadt-Bargen. Wer darauf spezialisiert ist, das Innere von Schalldämpfern in Auspuffanlagen zu produzieren, kann daraus nicht über Nacht eine Batterieproduktion machen. Aber was sonst?

Transformation bede Autet hier:usgehen von den Kompetenzen, von den Materialien und von den Maschinen, die wir haben, neue Produkte für Märkte zu entwickeln, die es entweder noch gar nicht gibt, oder die wir zumindest noch nicht kennen.

Wie geht das in einem kleinen Unternehmen, dass keine eigenen F&E-Abteilung hat und auch keinen eigenen Vertrieb? In einem Unternehmen, dass auf den ersten Blick nicht viel mehr zu sein scheint, als ein vom Markt gesteuerter Produktionsstandort?

Die NSG ist ein Paradebeispiel dafür, dass es geht, wenn man das richtige Team hat, die richtigen Menschen mit den richtigen Einstellungen und Werten und den notwendigen Kompetenzen. Kopf – und Seele, muss man hinzufügen – schlagen Kapital. Der Rest ist Methodik, Hartnäckigkeit und ein Quentchen Glück. Bei der Methodik kam das InnoPartner-Projekt ins Spiel.

Inside-out statt outside-in

Ausgelegt war das InnoPartner-Projekt darauf, Mittelständische Unternehmen mit Start-ups zu verbinden, auf das daraus innovative Produkte und sogar neue Geschäftsmodelle entstehen: Innovation von außen für den Mittelstand zugänglich machen. Aber bei der NSG gab es dafür noch keinen Anknüpfungspunkt. Die NSG musste ihre Innovationen, ihr neues Geschäftsmodell und ihre neuen Produkte von Innen heraus entwickeln. Damit ging es nicht um die Zuführung passender Start-ups, sondern um die Anwendung geeigneter Start-up-Methodiken. NSG wurde selbst zu einem Start-up : Ein gutes Team, spannende Geschäftsideen und so gut wie keine Ressourcen, Die, die es gab, waren im (Noch-)Tagesgeschäft gebunden.

Validierung der Geschäftsideen

In dieser Situation entscheidend war wie bei jedem Start-up die schnelle Validierung möglicher Geschäftsideen. Bevor große Anfangsinvestitionen getätigt werden, galt es, herauszufinden, was auf welchem Markt erfolgreich sein könnte. Natürlich verleiten uns unsere Begeisterung für die eigene Idee dazu, das Produkt schnell bauen zu wollen. Und für den Techniker ist kaum etwas spannender als der Moment der ersten Funktionstests eines Prototypen. Aber das alles kostet Geld und Zeit, die ein Start-up nicht hat, und die auch die NSG nicht hatte.

Deshalb: Sobald plausibel angenommen werden kann, das es überhaupt möglich wäre, ein bestimmtes Produkt herzustellen, fragten wir erst einmal:

  • Wie groß ist der (potentielle) Markt für unser Produkt im Ideenstadium)?
  • Wie kann sich der Markt entwickeln? Was sind plausible Szenarien für die Zukunft? Ergo: Gibt es genug Wachstumspotentiale, die wir mit unserm Produkt heben können?
  • Wie können wir in den Markt eindringen / den Markt eröffnen unter den Bedingungen multipler Ressourcenknappheit? Wie könnte eine »Beachhead-Strategie« für diesen Markt aussehen?
  • Conclusio: Was könnte in diesem Markt drin sein für uns? Würde es sich für uns am Ende überhaupt lohnen, dieses Produkt auf den Markt zu bringen?

Erst wenn wir wissen, dass es sich lohnen kann, beginnen wir weiter an den Produktspezifikationen zu arbeiten! So auch bei der NSG
Einige der vielversprechenden Produktideen, die das NSG Team entwickelt hatte, haben die wirtschaftliche Validierung nicht überstanden. Es ist ein Zeichen für die Qualität des NSG-Teams, dass es sich davon nicht entmutigen ließ. Stattdessen machten sie aus einer Idee ein erfolgreiches Produkt, die reichlich weit entfernt ist vom angespannten Automobilmarkt.

Highspeed Produktinnovation #01: HeavyPack

Einen Monat, nachdem die (vor-)letzte, vielversprechende Produktidee wg. zu kleinem Marktpotential beerdigt wurde, gelang Stephan Bührer, Michael Eckstein und Jörg Frey von NSG der Durchbruch mit HeavyPack: neuartige Gewichtsgurte für progressives Muskeltraining.

Seit Sommer 2022 produziert NSG in Helmstadt-Bargen nicht mehr nur die Innereien von Schalldämpfern, sondern Produkte für die Fitness-Industrie und vertreibt sie auch selbst im eigenen Online Shop: https://heavypack.de/.

Dabei handelt es sich um ein Upcycling-Produkt aus Produktionsabfällen, die im (Noch-) Kerngeschäft anfallen: Die ausgestanzten Edelstahl-Plättchen, sog. Stanzbutzen, werden in Nylon-Schläuche mit abgesteppten Taschen gefüllt. Diese HeavyPacks, die es in unterschiedlichen Gewichtsklassen gibt, ersetzen die Ketten, mit denen Fitnesssportler bisher trainiert haben, um eine besonders trainingswirksame, dynamische Muskelbelastung zu erzielen.

Bevor es die HeavyPacks gab, wurden Ketten an die Hanteln, über die Schultern oder um die Hüften gehängt. Doch Ketten sind laut, sie ruinieren wertvolle Fußböden und verursachen schmerzhafte Verletzungen, wenn sie unkontrolliert abrutschen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich im Nacken nicht gut anfühlen. HeavyPacks erfüllen den gleichen Zweck, haben aber alle diese Nachteile nicht. Entsprechend gut werden sie vom Markt angenommen.

Influencer haben die HeavyPacks schnell angenommen.

Was zeigt uns der Erfolg der NSG im Projekt Innovationspartnerschaften?

Innovation geht »in der kleinsten Hütte«

Innovation ist nicht eine Frage der Masse, sondern der Klasse. Auch sehr kleine Unternehmen können in kurzer Zeit Innovationen jenseits ihrer angestammten Produkte und Märkte stemmen, »disruptiv« sein. Wer dem Mittelstand sein Innovationspotential abspricht, weiß nicht, wovon er redet.

Leidensdruck – es braucht auch extrinsiche Motivation

Nicht nur Konzerne: Gerade kleine Unternehmen haben ein großes Beharrungsvermögen. Aber hier ist es nicht die durch Größe bedingte, organisationale Trägheit, die Veränderung verhindert. Es ist schlicht der Mangel an Ressourcen und Kapazitäten. Je größer die Auslastung, desto geringer die Möglichkeiten. Ständig ein eigenes Innovationsmanagement, das Ideen jenseits des Kerngeschäftes verfolgt, können sich kleine Unternehmen nicht leisten. Das Wissen um den nahenden Untergang setzt die Energien frei, die es für Veränderung braucht. Unternehmen verhalten sich nicht anders als andere Menschen. Organisationen sind humanoide Strukturen zweiter Ordnung.

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!

In Baden-Württemberg ist es erlaubt, auch im Maschinenbau Hölderlin zu zitieren. Aber was ist das Rettende? Das Team – die Mitarbeiter, die in einer solchen Situation über sich hinauswachsen, ihre Komfortzone verlassen, Neues ausprobieren, sich öffnen für das Unbekannte. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren in Schlagworten: Engagement, Kompetenz, Kreativität, Standhaftigkeit und unternehmerische Haltung. Diese Erfolgsfaktoren kann man nicht herstellen. Menschen bringen sie mit, und im besten Fall können sie sie in der Organisation weiter entwickeln. Das ist Chefsache.

Methodik – das Richtige machen

NSG zeigt, dass wir auch in Deutschland schnell Innovationen machen können. Voraussetzung dafür, ist die richtige Methodik. Start-up-Methoden sind deshalb so erfolgreich, weil sie sich in einem harten Ausleseprozess entwickelt haben. Sie sind Ergebnis einer soziökonomischen Evolution. Start-ups haben am Anfang weder Geld noch ausreichende Ressourcen. Ein Start-up muss sehr schnell herausfinden, welches Produkt mit welchem Geschäftsmodell auf welchem Markt funktioniert. Dass das funktionieren kann, hat nichts mit Magie zu tun, sondern mit Methodik. Gerade ein Mittelständler kann Start-up Methoden mit Erfolg anwenden. Sie sind universell. Das hat die NSG gezeigt.

Operative Excellenz – das Richtige richtig machen

Operative Exzellenz hat nichts mit Hochglanz zu tun, sondern mit Kompetenz, Erfahrung und Qualitätsbewusstsein. Und vielleicht auch ein bisschen mit notwendiger Sparsamkeit: Keine Verschwendung. Der Deutsche Mittelstand hat das in seiner DNA und wird dafür weltweit geschätzt. Operative Excellenz wird bei Start-ups oftmals ein wenig unterschätzt. Aber sie fängt schon beim Innovationsprozess an, nicht erst hinterher bei der Massenfertigung. Hier bildete sie eine Grundlage, auf dier die NSG in kürzester Zeit ihre HeavyPacks erfolgreich auf den Markt bringen konnte.

Geschwindigkeit – das Richtige schnell richtig machen

Start-ups sind schnell, weil sie es sein müssen, um zu überleben. Es gibt keine prinzipiellen Gründe, derentwegen ein Unternehmen bei Innovationen langsam sein muss. Tempo aus dem Innovationsprozess zu nehmen, z. B. durch viele interne Abstimmungsrunden, bedeutet, aus dem Innovationsprozess die Energie zu nehmen. Die NSG hat hier einen strukturellen Vorteil: Am Innovationsprozess haben alle für das Projekt wichtigen Führungskräfte selbst mitgewirkt. Entscheidungswege waren so auf das minimal mögliche verkürzt. Auf andere Unternehmen übertrage heißt das, die Teams mit den notwendigen Entscheidungskompetenzen auszustatten – unabhängig von den Hierarchien der Linienorganisation. Das schafft die Voraussetzungen für die notwendige Umsetzungsgeschwindigkeit.

Unser Beitrag im Projekt als Vorlage

Weil es als Beispiel dienen kann, noch ein paar Ausführungen zu unserer Rolle und Aufgabe als Begleiter des NSG-Teams. Am besten lässt sie sich mit dem Begriff Prozess-Coach beschreiben. In diesem Projekt waren im Wesentlichen drei Arten der Unterstützung gefragt:

(1) Vermittlung von Methodenkompetenz
– nicht zur Theoriebildung, sondern konkret im Vollzug des Innovationsprozesses, z.B. bei der

  • Analyse von Märkten, Einschätzen von Markttrends, Bewertung von Marktchancen
  • Bewertung von Produktideen durch die »Toxizitätsprüfung« (Fußnote mit Erklärung dazu: Welche Aspekte der Produktidee sind toxisch für einen wirtschaftlichen Erfolg)
  • Einfache, kostengünstige, empirische Verfahren zur Überprüfung der eigenen Hypothesen zum Produkt und Geschäftsmodell
  • Prüfung der Machbarkeit und Schätzung der Herstellungs- bzw. Bereitstellungskosten
  • bvPrüfung der Voraussetzungen für eine spätere Skalierung

(2) Den Beachhead Market finden
– auch wenn es aus systematischer Sicht zu den Methodenkompetenzen gehört, sei es an dieser Stelle wegen der fundamentalen Bedeutung für einen zukünftigen Geschäftserfolg besonders hervorgehoben: Unterstützung bei der Definition der richtigen Markteintrittsstrategie.

Um einen existierenden Markt zu erobern oder einen neuen Markt zu entwickeln, muss man sich den richtigen »archimedischen Punkt« suchen, die Nische, in der die eigene Vertriebsstrategie die maximale Wirkung erzeugen kann. Ein Start-up hat keine internationale Vertriebsorganisation – wenige, manchmal nur eine Person müssen den kompletten Vertrieb stemmen. Sie brauchen dafür zu Beginn einen winzigen Nischenmarkt, von dem aus der Vertrieb schnell wachsen kann. Seit Bill Aulet nennt man das im Start-up Idiom einen »Beachhead Market«. (Seit der Landung in der Omaha Beach in der Normandie 1944 sprechen die Amerikaner von »beachheads« anstelle von Brückenköpfen.)

Wie man für sein Produkt den richtigen »Beachead Market« identifiziert, ist für ein Start-up ebenso elementar wie für ein mittelständisches Unternehmen, dass sich auf gänzlich neuem Terrain bewegt.

(3) Sparringspartner sein

Jedes Innovationsteam braucht bei der Begleitung die Quadratur des Coaching-Kreises: Einerseits verdient es Wertschätzung seines Engagements und seiner Leistung auf Augenhöhe. Andererseits sind wir in der Rolle des advocatus diaboli: Es gilt falsche Hypothesen, Implausibilitäten und Fehlannahmen aufzudecken, bevor der Markt es tut. Märkte selektieren unbarmherzig! So ist es unsere Aufgabe, das Team und alle seine Gewissheiten immer wieder herauszufordern und nichts gelten zu lassen, was bloße Spekulation, was ungeprüfte Annahme oder schlimmer noch: Hoffnung ist. Aber nicht wir sind es dabei, die es »besser« wissen als das Team. Unsere Aufgabe hier ist es, mit dem Team die ungeprüften Annahmen zu identifizieren und es dabei zu unterstützen, daraus Hypothesen zu bilden, die es am Markt überprüfen kann – s.o.

NSG – ein Beispiel, wie Transformation gelingt

Das NSG-Team hat innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Dreivierteljahr ein komplett neues Produkt entwickelt und weit weg von seinem angestammten Umfeld erfolgreich auf den Markt gebracht. Der Erfolg hat das Team beflügelt. Mittlerweile gibt es neue, vielversprechende Ideen für weitere Diversifikationen des NSG Portfolios. Die Erfahrungen aus dem Projekt InnovationsPartnerschaften gibt dem NSG Team die Zuversicht, auch daraus erfolgreiche Innovationen zu machen.

Das Beispiel NSG zeigt, wie Transformation gelingt, wie traditionelle Unternehmen in einer Industrie, deren Markt gerade abgeschafft wird, erfolgreich neue Produkte für neue Märkte schaffen können: mit Start-up Methoden.

NSG HeavyPacks
NSG HeavyPacks – unterschiedliche Ausführungen

Weiterlesen: Wie die NSG GmbH selbst das Projekt beschreibt ->

Peter Gräser
Peter Gräser
Head of Corporate Innovation / InnoWerft