Was geht? Was muss? Hartmann & König

Photo: Hartmann & König Stromzuführungs AG

Bagger-Strom aus der Steckdose

Was haben Tagebaubagger, Containerbrücken, Portalkräne und Umschlagbagger gemeinsam? Wenn man kann, betreibt man sie gerne elektrisch. Das senkt Betriebskosten, Lärm und vermeidet schädliche Abgase und Gestank. Und es funktioniert heute vor allem im teilstationären Bereich, in den Regionen, wo ausreichend Kraftwerksleistung und Netzkapazität zur Verfügung steht. Denn für diese Arbeitsmaschinen kommt der Strom aus der Steckdose – noch. Und dieses noch kann es in sich haben. Zumindest für Hartmann & König.

Motorleitungstrommeln an einem Umschlagkran; Photo: Hartmann & König

Hartmann & König ist ein Traditionsunternehmen, gegründet 1945. Seit 1954 sorgt Hartmann & König dafür, dass der Strom sicher aus der Steckdose kommt: im Tagebau, am Hafen oder auf dem Recyclinghof, zum Kran oder Bagger oder auch zum Schiff, wenn es sein muss. Der Mittelständler aus Graben-Neudorf in der Nähe von Bruchsal liefert die Leitungstrommeln für Strom- und seit einiger Zeit auch für Datenleitungen. Auf den Trommeln rollen sich Kabel, Schläuche und Lichtwellenleiter auf- und ab, wenn die Krane oder Bagger hin- und herfahren. Für die volle elektrische Funktionalität braucht es im Inneren der Trommeln Schleifringkörper. Auch die entwickelt und produziert Hartmann & König passend zum Anwendungsfeld.

Schleifringkörper; Photo: Hartmann & König

Innovation im Kerngeschäft?

In der Wissenschaft würde man sagen, das Thema ist «ausgeforscht». Hartmann & König ist Technologieführer bei Trommeln und Schleifringkörpern und weiß, wo es im Detail noch etwas zu verbessern geben könnte. Aber insgesamt gibt es hier nichts Neues mehr. Eckige Trommeln wären vielleicht disruptiv, aber auch dysfunktional. Wie Hartmann & König geht es vielen Unternehmen, deren Produkte am Ziel des Entwicklungszyklus’ angekommen sind. Es gibt eigentlich nichts Wesentliches zu verbessern. Damit wird es schwer, im Wettbewerb auf Dauer Marktanteile zu halten, und es besteht die große Gefahr, dass die Disruption aus einer Richtung kommt, an die niemand gedacht hat.

Das sagte sich auch H&K Vorstand Karlheinz Stulz. Seine Motivation, mit Hartmann & König am InnoPartner-Projekt teilzunehmen, war in erster Linie der Wunsch nach Klarheit: Wird das Unternehmen und seine Position im Markt möglicherweise gefährdet durch Start-ups, deren innovative Produkte Kabeltrommeln und Schleifringkörper überflüssig machen? Die erste Phase des Projektes drehte sich weniger um mögliche partnerschaftliche Zusammenarbeit, sondern um potentielle Abwehr neuer Marktteilnehmer. Entsprechend definierten wir die Aufgabenstellung und das Team der innoWerft begab sich an die Analyse. Dabei wurden drei Optionen der Motorisierung beleuchtet:

  • Batterieelektrische Antriebe;
  • Verbrennungsmotoren betrieben mit eFuels (synthetische Kraftstoffe);
  • Elektrische Antriebe mit Brennstoffzellen für die Stromversorgung.

Und letztlich entstand daraus ein Impuls für mögliche Innovationspartnerschaft.

Mit Akku am Start?

Im Bereich der Baumaschinen gibt es mehr und mehr Anbieter, die relativ ausgereifte, batterieelektrische (Klein-) Bagger und Radlader auf den Markt bringen.

Sennebogen, einer der weltweit führenden Hersteller für Umschlagbagger, hat bereits zwei batterie-elektrische Modelle im Programm. Dabei setzt Sennebogen auf die Kombination aus Akku und Kabel: Mit dem Akku fährt der Bagger zum Einsatzort. Dort kann er seine Arbeitsenergie per Kabel beziehen. Dabei werden die Akkus wieder aufgeladen. Eine ausschließlich batterieelektrische Lösung ist bei Sennebogen noch nicht in Sicht.

Wettbewerber Liebherr hat 2022 ein batterieelektrisches «Umschlagbagger-Concept Car» vorgestellt. Bei den elektrisch angetriebenen Umschlagmaschinen dominiert aber nach wie vor der Kabelanschluss.

Zeppelin CAT wirbt zwar für vier neue, vollständig batterieelektrische Baumaschinen. Die sind aber noch nicht verfügbar. Alle elektrischen Umschlagbagger im Portfolio arbeiten nach wie vor «an der Leine».

Ein vorsichtiges Zwischenfazit

Je mobiler und großräumiger das Einsatzszenario ist, desto größer sind die Chancen, dass in Zukunft mehr und mehr batterieelektrische Bau- und Umschlagmaschinen zum Einsatz kommen. Allerdings werden sie damit eher die Maschinen ablösen, die heute durch Dieselmotoren angetrieben werden. Und: Das ist nur in Ländern möglich, in denen die elektrische Infrastruktur KV-Industriestromnetze ermöglicht. Das schränkt den weltweiten Einsatz und damit das Marktwachstum stark ein. Ob angesichts des Rohstoffbedarfs für die Batterieproduktion ein großflächiger Einsatz batterieelektrischer Antriebe überhaupt wirtschaftlich werden kann, muss ebenfalls offen bleiben. Das gilt besonders, je größer die Anlagen und damit ihr Energiebedarf wird.

Photo: Hartmann & König

Was das für Hartmann & König bedeutet? Bedrohen batterieelektrische Antriebe ihr Kerngeschäft? Ja, vielleicht, vielleicht irgendwann. Aber: Batterieelektrische Antriebe sind teuer und werden es (mindestens) noch fünf bis zehn Jahre bleiben. Außerdem braucht man auch dabei einen Industriestrom-Anschluss und ein Betriebsstromkabel. Der entscheidende Vorteil, die Nische für Hartmann & König, wird dort liegen, wo der Mobilitätsgewinn, den ein batterieelektrischer Antrieb bieten kann, bei der Gesamtwirtschaftlichkeitsbetrachtung keinen Vorteil bietet. Wir gehen davon aus, dass diese Nische eher groß als klein sein wird.

eFuels als Disruptor?

Synthetische Kraftstoffe sind eine sehr pragmatische Lösung im Kampf gegen den Klimawandel, wenn sie tatsächlich in CO2-neutralen oder -positiven Kreisläufen genutzt werden. Das «Start-up» Climeworks z.B., ggr. 2009 als Spin-off der ETH Zürich, gewinnt CO2 großtechnisch als der Atmosphäre zurück, natürlich CO2-positiv. Die Technologie zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen wurde im vergangenen Jahrhundert bereits großtechnisch angewandt. Im Dezember 2022 ging in Chile die erste großtechnische Pilotanlage für eFuels in Betrieb. Gefördert wird sie unter anderem von der deutschen Bundesregierung (Quelle: „Haru Oni“: E-Fuels-Pilotanlage in Chile eröffnet – future:fuels). Bleibt der Preis, der wahscheinlich erst konkurrenzfähig werden wird, wenn die vielbesprochene CO2-Bepreisung nennenswerte Höhen erreicht. Muss Hartmann & König deswegen befürchten, dass mit eFuels befeuerte Antriebe ihre Kabelsysteme verdrängen?

Climeworks neue Carbon Capture-Anlage Mammoth soll 2024 in Betrieb gehen; Photo: Climeworks

Wir halten eine solche Annahme für nicht plausibel. Kabelgebundene, elektrische Antriebe haben in den für Hartmann & König relevanten Einsatzszenarien etliche Vorteile gegenüber Verbrennern (s.o.). Das allein macht ein «Back to eDiesel» recht unwahrscheinlich. Einer wichtiger Vorteile ist die Wirtschaftlichkeit in Zeiten, in denen Diesel billiger ist, als eFuels wohl jemals sein werden. Auch bei steigenden Strompreisen wird sich dieser Vorteil kaum umkehren. Und dann bleibt ja noch die Frage der Verfügbarkeit…

Brennstoff-Zellen?

Hier könnte es für Hartmann & König heikel werden. Schauen wir einmal über den Tellerrand: 2017 präsentiert Fendt auf der Agrotechnica in Hannover einen Ackerschlepper mit Batterie-Betrieb, der es auf immerhin 50 KW Nutzleistung bringt (Photo: MarcelX42, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons). Vielleicht nicht unbedingt weltmarktfähig. Aber es geht auch anders. Und besser. Und wie so oft, sind es nicht die etablierten Hersteller, die es wagen, eine Innovation zu entwickeln, die das Zeug hat, Märkte zu verändern. Vier Doktoranden finden sich in Cambridge, Mass. am MIT und schicken sich 2020 an, mit Ihrem Start-up AMOGY die Welt zu retten. Wie, zeigen sie mit einen andern Schlepper, nicht in der Messevitrine, sondern auf dem Acker.

Ein von AMOGY mit einer Ammoniak-Brennstoffzelle ausgerüsteter Ackerschlepper im Anwendungstest Sommer 2022; Photo: AMOGY

AMOGY hat ein ambitioniertes Ziel: Das Start-up will bis 2050 das Transportwesen decarbonisieren. Der Hebel dazu: Die Ammoniak-Brennstoffzelle. Bei uns einigermaßen bekannt ist eigentlich nur die Wasserstoff-Brennstoff-Zelle. Schon in den 1990er Jahren fuhren Mercedes Benz-Busse damit erfolgreich im Testbetrieb. Aus dem Auspuff kam nur Wasser. Durchgesetzt hat sich die Brennstoffzelle bis heute nicht. Der wohl wichtigste Grund dafür: Es gibt keine Wasserstoff-Tankstellen. Und wenn es sie gäbe, wäre Wasserstoff deutlich teurer als Diesel. Und grün wäre er noch nicht wirklich.

Ammoniak könnte den Durchbruch bei der Nutzung von Brennstoffzellen bringen. Denn Ammoniak hat einen wesentlich größeren Wärmewert als Wasserstoff. Verflüssigtes Ammoniak hat sogar eine dem Benzin vergleichbare Energiedicht, sehr, sehr weit oberhalb der von Batterien bzw. Akkus. Ammoniak wird schon heute in Massen großtechnisch hergestellt zu günstigen Preisen. Wenn es in der Brennstoffzelle zu Strom umgesetzt wird, entstehen mit einem nachgeschalteten Katalysator nur Wasserstoff und Stickstoff. Die sind völlig unschädlich, auch für das Klima.

Was kann das für Hartmann & König bedeuten?

Ammoniak-Brennstoffzellen haben das Potential, Verbrenner-Antriebe zu ersetzen. Zuerst wahrscheinlich überall dort, wo es keine Batterie-Ladeinfrastruktur gibt und auf lange Zeit wohl auch nicht geben wird. Angesichts des hohen Leistungsgewichts batterieelektrischer Antriebe, ihrer Kosten, der damit verbundenen Rohstoff- und der massiven Stromnetzproblematik ist es nicht unwahrscheinlich, dass Ammoniak-Brennstoffzellen auch in Europa eine Schlüsselfunktion bei der Energiewende bekommen werden. Im Hamburger Hafen ist schon ein neues Terminal für grünes Ammoniak geplant – mit dem Segen des Bundeswirtschafts- und Klimaministers. (Quelle: Hamburger Hafen: Terminal für grünes Ammoniak geplant – future:fuels).

Damit kann diese Technologie in einigen Jahren zur Bedrohung für Hartmann & König werden: Brennstoffzelle statt Kabeltrommel.

Partnerschaft mit AMOGY?

Auf den ersten Blick erscheint es weit hergeholt, dass ein mittelständisches Traditionsunternehmen aus Graben-Neudorf eine Partnerschaft mit einem MIT Spin-off einginge. Mit einem Start-up, das im Juni seine letzte Finanzierungsrunde auf 150 Mio. US$ erhöht und im Juli 2023 – diesen Monat – sein Geschäft in Ostasien mit einer Niederlassung in Singapur startet.

Aber Hartmann & König könnte schnell einen neuen Markt mit einem innovativen Zukunftsprodukt aufbauen und dafür sein industrielles Konstruktions- und Produktions-Know how nutzen. Und AMOGY? AMOGY bekäme einen Marktzugang, den es sonst mühsam aufbauen müsste, noch dazu unabhängig von einzelnen Maschinenherstellern. Hartmann & König kann sie alle beliefern. Wenn AMOGY sich z. B. an Sennebogen oder Caterpillar bände, wäre ihnen der Rest des Marktes verschlossen. Klingt vor der Hand nicht ganz schlecht.

Klingt aber unwahrscheinlich? Natürlich – ist ja alles nur Spekulation. Aber bevor man Zukunft macht, muss man sie ja mal denken dürfen.

Peter Gräser
Peter Gräser
Head of Corporate Innovation / InnoWerft